100 Jahre biodynamisch Interviews - Pioniere

Im Gespräch: Sophie und Jonathan Kraul vom Unteren Berghof

Betriebsleiter vom unteren Berghof vor dem Hühnermobil © privat: Kraul

1924 hielt Steiner im polnischen Koberwitz Vorträge vor rund hundert Bäuerinnen und Bauern, die sich angesichts der aufkommenden künstlichen Düngung Sorgen um die Bodenfruchtbarkeit machten. Damals wurde der Grundstein der biodynamischen Landwirtschaft gelegt. Mit dem sogenannten „Landwirtschaftliche Kurs“. 
Auch 100 Jahre später setzen Demeter-Mitglieder immer wieder wichtige Impulse in der Bio-Landwirtschaft. Sie haben nachhaltige Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit entwickelt wie: regionale assoziative Wertschöpfungsketten (Bauern, Verarbeiter, Händler in einer Region), eine unabhängige Pflanzen- und Tier-Züchtung, Verfahren zum Schutz des Bodenlebens, erweitertes Tierwohl (Kuh und Kalb) und viele weitere Nachhaltigkeitsleistungen. 

Im Gespräch die Betriebsleiter des Unteren Berghofs in der Kulturregion Nordschwarzwald - was beschäftigt die beiden im Jubiläums-Jahr ?!:

Sophie Kraul umringt von Hennen
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Unterer Berghof

Wie lautet Euer Satz, um diesen hier zu vollenden: Die biodynamische Landwirtschaft... ist für uns der Leitstern für unseres täglichen Handelns. Denn es ist die älteste und zugleich zukunftsträchtigste Methode der Bodenbewirtschaftung und Tierhaltung.“

Sophie Kraul, durch welchen Impuls seid Ihr zur biodynamischen Wirtschaftsweise gekommen? "Ich habe damals in der Schweiz nach Höfen gesucht, um dort mitzuarbeiten, und war danach überzeugt: Das möchte ich auch machen. Anschließend habe ich meinen Mann kennengelernt. Er stammt aus dem biodynamischen Umfeld und wurde bereits als Jugendlicher während eines landwirtschaftlichen Praktikums von dieser Methode fasziniert. Wir beide lieben, was wir tun, und sind überzeugt davon, dass wir nicht nur hochwertige Lebensmittel erzeugen, sondern auch das Land, das wir bewirtschaften, so beackern, dass auch kommende Generationen fruchtbaren Boden vorfinden."

Gibt es Vorbilder aus biodynamischen Gemeinschaft? Bei Jonathan Kraul ist das Martin Ott und bei Sophie Kraul ist es Andreas Würsch (Hof Sagensitz, ein ganz kleiner, sehr vielfältiger Betrieb, hier gibt es ein Portrait über den Hof.

Was sind Eure Spezialgebiete? "Legehennen-Haltung und regenerative Boden-Bewirtschaftung."

Jonathan Kraul, was wurde von den Vorreiter:innen übernommen?, was weiterentwickelt? "Unser Verständnis davon, wie Tiere, Menschen, Boden und Pflanzen miteinander verbunden sind, bildet das Herzstück unserer Arbeit. Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, wie wir konkrete Schritte unternehmen können, um klimapositiven Ackerbau zu betreiben und den Humusaufbau zu fördern. Ein zentraler Aspekt für uns ist der sparsame Umgang mit Wasser. Wir stellen uns aktuellen Herausforderungen, wie der energieeffizienten Gestaltung einer funktionierenden Kompostierung.

Darüber hinaus engagieren wir uns über unseren Familienbetrieb hinaus. Wir bilden Lehrlinge aus, nehmen Praktikanten auf und investieren viel Zeit und Energie in den Wissenstransfer für Fachleute. Zudem setzen wir uns aktiv und entschieden für die Ökolandwirtschaft ein, auch auf politischer Ebene. Es ist uns ein Anliegen, nicht nur unseren Betrieb zu optimieren, sondern auch dazu beizutragen, dass ökologische Landwirtschaftsmodelle verstärkt anerkannt und gefördert werden."

Sophie Kraul, ist es heute Eurer Meinung nach „gesellschaftsfähiger“, vielleicht auch leichter biodynamisch zu wirtschaften als zum Gründungsimpuls? 

"Ich bin fest davon überzeugt, dass die Forschung heute viele Konzepte aus der biodynamischen Landwirtschaft aufgreift und damit salonfähig macht, was bereits vor 100 Jahren von Pionieren wie Rudolf Steiner angestoßen wurde. Ein Schlüsselbegriff ist dabei das Mikrobiom des Bodens. Steiner beschrieb im Landwirtschaftlichen Kurs, wie alles miteinander in Wechselwirkung steht und auf Ebenen interagiert, die für das bloße Auge unsichtbar sind. Er betonte die Bedeutung individueller Bodenbedürfnisse und standortspezifischer Sorten (biodynamische Züchtung). Es ist bemerkenswert, wie vieles davon heute offensichtlich wird und viel deutlicher sichtbar ist, als man es je vermutet hätte.

Vor 100 Jahren hatten diese Vorreiter eine enorme Weitsicht. In den 70er und 80er Jahren war biodynamische Landwirtschaft viel weiter vom Mainstream entfernt als heute. Tatsächlich könnten wir jetzt als die 'hippsten Nachhaltigkeitsfreaks' betrachtet werden. Unsere Landwirtschaft bietet längst das, was heute oft kompliziert mit Nachhaltigkeitsrechnungen belegt werden muss. Allerdings bleibt die Frage, wie das langfristig finanziert werden kann, und ob wir einen Konsens finden können, damit mehr Menschen verstehen, in welche Richtung sich die regionale Landwirtschaft entwickeln muss, damit Höfe wie unserer auch noch in 100 Jahren existieren können."

Sophie Kraul, wo steht die biodynamische Landwirtschaft in 50 Jahren? "Mein Wunsch ist es, dass in 50 Jahren viele unserer Methoden in der gesamten Landwirtschaft weit verbreitet sind. Immer mehr Betriebsleiter wie wir können aus eigener Beobachtung und Erfahrung bestätigen, was die Pioniere rund um Steiner damals herausgefunden haben. Wir haben dieses Wissen angewendet und verfeinert. Es wäre großartig, wenn diese Erkenntnisse in Zukunft breit anerkannt und angewendet werden, um eine nachhaltigere und umweltfreundlichere Landwirtschaft zu fördern."

Jonathan Kraul, gibt es noch etwas was Ihr loswerden möchtet? "Wir nehmen die flächengebundene Tierhaltung ernsthaft und verantwortungsbewusst wahr, und wir sind fest davon überzeugt, dass dies ein essenzieller Bestandteil einer nachhaltigen Landwirtschaft ist."



 

Landwirt Jonathan Kraul schult Kollegen beim Thema Humusaufbau

Jonathan Kraul beim Thema Nachhaltigkeitsleistungen auf dem Unteren Berghof

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