Tischgemeinschaft für Kälber

Auf dem Weg zum Hof Fleck toppt die Wirklichkeit jedes Postkartenmotiv. Hügel rauf, Hügel runter, immer wieder geht der Blick auf das Alpenpanorama im Hintergrund. Bis man irgendwann an einer Hofeinfahrt ankommt. Auf der einen Seite steht eine Gruppe Kühe geduldig Schlange, um den Melkstand zu erreichen. Ein paar Dutzend Schritte weiter, und der Besucher steht vor einem Schränkchen, aus dem Passanten Milch, Sahne oder ein Ragout vom eigenen Kalb mitnehmen können. Wer etwas braucht, nimmt es sich, legt das Geld in eine Schachtel und zieht seines Weges. Idylle pur. Aber ziemlich typisch für die Region hier, das Württemberger Allgäu rund um Leutkirch.

Im Inneren des Hofes Fleck begrüßt Michaela Weber und erklärt, was die vielen biodynamisch arbeitenden Landwirt*innen hier im Allgäu antreibt: „Aus der Region, in der Region, für die Region.“ Mit diesem Dreiklang im Hinterkopf haben sich Höfe, wie der Hof Fleck, zu einer besonderen Gemeinschaft zusammengeschlossen: die Tischgenossen. Ein Verein aus einer Gruppe an Bio-Höfen rund um Leutkirch, zu dessen Geschäftsführung Michaela Weber gehört. Sie wollen nicht nur die Zusammenarbeit untereinander ausbauen. Sondern haben sich ein hohes Ziel gesetzt: sie wollen die Kälber, die auf ihren Höfen geboren werden, in der Region aufziehen und später für Kunden aus der Gegend schlachten. So, wie es für das Ragout im Selbstbedienungsschrank am Hof Fleck.

Im Allgäu ist es ja so: die Landschaft mit ihren Hügeln, den guten Weiden, dem Voralpen-Klima prägt hier die Landwirtschaft. Die meisten Demeter-Höfe halten deswegen Milchkühe. Schließlich ist die Gegend nicht nur bekannt, sondern auch geeignet für Kühe, Käse und Milch. Milchhöfe stehen aber alle vor einer Herausforderung. „Damit unsere Kühe Milch geben“, sagt Michaela Weber, „bekommen sie jährlich ein Kalb. Ein paar Kälber können wir zu Kühen heranwachsen lassen, die später für uns Milch geben.“ Aber eben nur einige: Denn sonst würden die Herden auf den Höfen der Tischgenossen irgendwann zu groß. Das wäre wirtschaftlich nicht sinnvoll und auch ökologisch nicht: Schließlich halten Demeter-Landwirt*innen nur so viele Kühe, wie sie von ihren eigenen Flächen ernähren können.

Alle passen an einen Tisch

Was aber tun mit den anderen Kälbern? Dabei wollen sich die Tischgenossen gegenseitig unterstützen. „Eine Gruppe, so groß, dass alle an einen Tisch passen“, sagt Michael Weber. Zusammenarbeit funktioniert eben am besten, wenn man sich kennt. Und so geht auf den Bio-Höfen rund um Leutkirch vieles Hand in Hand: Die Landwirt*innen ziehen ihre Kälber bei ihren Müttern und Ammen auf, anstatt sie direkt nach der Geburt von den Milchkühen zu trennen. Im Anschluss schlachten Yvonne und Albert Wassermann am Argensee die Tiere stressfrei und zerlegen sie. Der Demeter-Gastwirt Andreas Humburg vom Biohotel Adler verarbeitet jene Fleischteile, die sich nicht frisch vermarkten lassen, zu Einmachgerichten wie Bolognese-Soße, Ragout oder Rouladen. Eingemacht in Gläser stehen diese dann wieder in den vielen Hofläden oder auf den Märkten der Region. Manche Teile der Kälber landen aber auch direkt in der Küche des Adlers – Gäste finden sie als Cordon Bleu oder Schmorfleisch dort immer mal wieder zur Auswahl. Ein würdiger und ganzheitlicher Lebenskreislauf innerhalb einer Region, getragen von ihren Akteur*innen.

Verbraucher*innen einbinden

Alle sechs Wochen ist mittlerweile Schlachttag. Für Kund*innen aus der Region bieten die Tischgenossen eine Art Online-Shop: die Kund*innen tragen sich auf der Website in einen Newsletter-Verteiler ein. Zum Schlachttag bekommen sie eine Information und können sich dann Fleischpakete zusammenstellen, die sie später auf den Höfen der Tischgenossen abholen. Mehr als 1000 Kund*innen haben mittlerweile mindestens einmal eines der Produkte gekauft – und immer mehr Kälber bleiben so in der Region.

Das könnte erst der Anfang des Allgäuer Miteinanders sein. Einigen Betrieben schwebt ein weiterer Schritt vor: Sie wollen sich mit Verbraucher*innen aus der Region zusammenschließen, um in der Leutkircher Innenstadt eine Art Showroom zu eröffnen. Ein gemeinschaftlich getragener Laden, eine Milchverarbeitung und ein kleiner Stadtbauernhof, in dem die Produkte der regionalen Milchbetriebe noch einmal ganz anders sichtbar und erlebbar werden. Denn nicht nur Milch und Fleisch sondern auch Landwirt*innen und Verbraucher*innen der Region gehören zusammen.

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