Lichtmesstagung 2019

Wirtschaften zum Wohle Aller

Lichtmess 2019 bot Zeit und Raum, die Wertschöpfungskette mit allen Beteiligten neu zu denken und von guten Ideen aus erste Schritte zu gehen.

von Kati Partzsch
Überlingen: Für das letzte Januarwochenende hatte das Bündnis für biologisch-dynamische Arbeit am Bodensee in Kooperation mit dem Demeter in Baden-Württemberg zum diesjährigen Lichtmessforum geladen. Die zweitägige Veranstaltung fand in den Räumen der BODAN Großhandel für Naturkost GmbH in Überlingen statt und stellte die Frage, wie eine Wirtschaft zum Wohle Aller gestaltet werden kann. Ein besonderer Fokus lag auf den Kunden und ihren Bedürfnissen. Zu den 90 Teilnehmern aus dem Bodensee-Raum gehörten daher interessierte Menschen als Kunden sowie ökologisch-regional orientierte Produzenten, Verarbeiter und Großhändler. Ausgehend von Impulsreferaten dachten sie miteinander über eben diese Kategorien hinaus und entwickelten ein gemeinsames Verständnis von der individuellen wie kollektiven Verantwortung in einem zukunftsfähigen Wirtschaftskreis. In diesem Sinne blühte ein bunter Strauß an Projektideen auf, von denen manche bereits in die konkrete Planung mündeten. Informiert, inspiriert und bestärkt gingen die Teilnehmer aus der gelungenen Tagung. Die Strahlkraft dieses Lichtmessforums wirkt nun in das neue Jahr hinein.

Mit einer Wirtschaft, die primär auf Profitmaximierung aus ist, kommen wir nicht weiter. Wem das heute nicht schon einleuchtet, dem dämmert es zumindest. Die Realität des Klimawandels, der begrenzten Ressourcen, der überbordenden Produktion von Waren auf der einen bei gleichzeitiger Verschwendung auf der anderen Seite sowie der Zerfall von Beziehungen im Sozialen und zur Natur lassen ahnen: Da stimmt etwas nicht. Und das treibt auch die Menschen am Bodensee um. Für das Bündnis für biologisch-dynamische Arbeit am Bodensee Grund genug, sein diesjähriges Lichtmessforum der Frage nach einer zukunftsfähigen Wirtschaftsweise zu widmen, mit einer Wertschöpfungskette, die vom Bedarf des Kunden ausgeht und damit „vom Küchentisch her gedacht wird“, so Denis Hahn vom Hottenlocher Hof in Mühlingen und Mitorganisator des Forums. Die Veranstaltung bot also insbesondere Menschen als Kunden die Gelegenheit, ihre Wünsche mit Blick auf Waren und Warenwege zu äußern. Das sollte die Grundlage sein für die Entwicklung verantwortbarer und verlässlicher Güterkreise.

In Impulsbeiträgen am Samstag kamen zunächst dem Bündnis angehörende Marktteilnehmer zu Wort. Ihnen voran gingen Isola Schubert und Sigrid Skok, die als Vertreterinnen einer bewussten Kundschaft auftraten. Beide begrüßten die positiven Entwicklungen in ihrem Umfeld, darunter die Eröffnung von Hofläden und eines Unverpackt-Ladens. Ein noch offener Wunsch sei dagegen eine flächendeckende Produkttransparenz. „Für bewusste Entscheidungen brauchen wir Informationen zu den Produkten, die im Laden liegen, also dazu, wie der Bauer arbeitet, aus dessen Anbau die Kaki stammt und wieviel vom Kaufpreis bei ihm ankommt. Mit solchem Wissen könnten wir die Folgen unseres Kaufens wirklich sehen und ernst nehmen“, meinte Isola Schubert. Daran schloss Mathilde Balser vom Überlinger Nudelladen der SKID gGmbH an. „Wir arbeiten sozialintegrativ und ökologisch bewusst und bei uns gibt’s Klasse statt Masse zum fairen Preis. Ich will die Kunden da abholen, wo sie stehen und sage ihnen, dass auf jeden Billigeinkauf jemand anderes drauf zahlen muss“, so die Ladnerin überzeugt. Auch Markus Bruderhofer, Inhaber der Manufaktur „Delikat essen“ in Gottmadingen, erklärte, dass er mit dem Kunden ins Gespräch kommen wolle. Denn mit dessen Kaufentscheidung seien für ihn als Verarbeiter noch immer wesentliche Fragezeichen verbunden: „Was will denn der Kunde überhaupt, in welchen Mengen und wie kann er den Mehraufwand, der in unserer Handarbeit steckt, so wahrnehmen, dass er bereit ist den entsprechend höheren Preis zu zahlen?“.

Zum Preis hatte auch Sascha Damaschun etwas zu sagen, als BODAN-Geschäftsführer Mitorganisator und Hausherr der Veranstaltung. Er verdeutlichte, wie die Preisbildung im üblichen Warenwirtschaftssystem einer Verzerrung unterliegt, da mit Prozentfaktoren gerechnet wird. Aus einer Preiserhöhung seitens des Bio-Bauern als Erzeuger eines Produkts ergibt sich dadurch ein ungleich höherer Preisaufschlag für den Endkunden. Dieser kann sich das Produkt dann womöglich nicht mehr leisten. „Mit ihrer Rechnung macht sich die klassische Warenwirtschaft also zum Feind der Qualität“, so Sascha Damaschun im Klartext. Diesen Status quo wolle er ändern helfen. Gelebte Freude an der Verantwortung für Qualität brachte Timon Nardo zum Ausdruck, Landwirt am Rimpertsweiler Hof in Salem: „Auf unserem Demeter-Hof gehen wir achtsam mit Land und Leben um. Wir wollen uns gut fühlen bei dem, was wir tun. Das Brot für unsere Kunden backen wir wie unser eigenes, das spüren die Menschen“. Auf die bewusste Verantwortung der Kundschaft aus einer solchen positiven Produktwahrnehmung heraus setzte auch Annette Schlachtenberger vom gleichnamigen Demeter-Obstbaubetrieb in Friedrichshafen aus Erfahrung: „Höhere Preise aufgrund von Witterungsschäden haben unsere Kunden immer mitgetragen, weil sie die besondere Qualität unserer Früchte schmecken und schätzen“.

Am Bodensee hat man sich also schon auf den Weg gemacht, um „von einer Realität der Probleme zu einer Realität der Lösungen zu kommen“, so Ilsabé Zucker vom Koordinationskreis der Tagung. Doch auch über das Seeufer hinaus schaute das Forum, um zu erfahren, wie der Mensch im Kollektiv „Wohl-wirksam“ werden kann. So stellte Daniel Überall vom Kartoffelkombinat in München eben dieses Projekt einer solidarischen Landwirtschaft vor, an dem sich bisher 3000 Münchner beteiligen. Gegen einen Monatsbeitrag genießen sie das von der Initiative vor Ort angebaute Biogemüse und gestalten die weitere Entwicklung des Projekts mit. Daniel Überall plädierte damit für aktive Strukturveränderungen in Orientierung an dem, was für uns wichtig ist: „Vielfältige und gesunde Lebensmittel und eine gemeinwohlorientierte Wirtschaft mit Arbeitsplätzen zu fairen Löhnen“. Wie das Mitreden in einem kreativen Kollektiv im Detail organisiert werden kann, wusste schließlich Gregor May vom Premium Kollektiv zu berichten. Ausgehend vom Wunsch nach der „guten alten Cola“ taten sich hier Menschen zusammen, um eine Cola nach ihrem Gusto zu mixen und sie auf fairen Wegen in Umlauf zu bringen. Bis heute bestimmen alle Beteiligten mit und Entscheidungen fallen im Konsens, seit 17 Jahren, erfolgreich. „Wir leben unsere Werte und haben Spaß dabei“, sagte May.

Nach diesem facettenreichen Exkurs in die Praxis kamen die Forumsteilnehmer langsam zurück in die eigene Gedanken- und Gestaltungskraft. Dabei half ihnen eine Besinnungszeit mit klassischen Tönen und bewusster Stille am Samstagabend. Nahrhaft für Körper und Geist waren auch die Pausen mit Gesang und Leibesstärkung aus der BODAN-Bio-Kantine. Das Finden und Formen des eigenen Beitrags zum „Wohlwirtschaften“ in der Region durfte also Weile haben. Am Sonntagmorgen ging‘s dann frisch zur Tat. Zuerst sammelte man Ideen, Wünsche und Möglichkeiten für eine bessere Wirtschaft vor der Haustür. Anschließend wurden gruppenweise Versuchsprojekte gestaltet. Aus Ton, Steinen, Bändern und Luftballons entstand zum Beispiel das Modell eines Gemeinschaftsgartens. Nach dem Motto „Die Zukunft kommt nur durch uns“ galt der letzte Tagungsteil dem Benennen machbarer Projekte, für die sich jeweils Interessierte fanden und konkrete Schritte planten. Unter diesen Projekten war ein Saatgutservice, eine Solidaritätsausbildung, eine Plattform zur Fortführung des Austauschs und für die Warenwirtschaft ein „Leuchtturm-Sortiment“ mit einer transparenten Kalkulation.

Im Abschlusskreis waren die Teilnehmer dankbar, bewegt und beeindruckt von der Dynamik, die das Forum in den zurückliegenden zwei Tagen entwickelt hatte. „Wir haben wirklich etwas zu bieten und ich ermutige euch alle dazu, laut zu werden. Denn es geht um die Welt“, so ein Appell aus der Runde. In diesem Sinne klingen die lebendigen Begegnungen nach und in das neue Jahr hinein.