Einsatz für Bullenkälberaufzucht

Demeter- und Bio-Landwirt*innen aus Baden-Württemberg gehen mit gemeinsamen Mindeststandards für die kuhgebundene Aufzucht ihrer Kälber voran. Das macht die Milchproduktion nachhaltiger, wesensgemäßer und könnte zudem den strapazierten Milchmarkt entlasten.

Landwirt*innen der Demeter Heumilch-Bauern mit dem „Zeit zu zweit für Kuh + Kalb“-Siegel und die Bruderkalb-Initiative aus Hohenlohe setzen sich für die wesensgemäße Aufzucht von Kälbern auf ihren Geburtshöfen ein. Nun haben sie gemeinsame Mindeststandards für den Umgang mit Kälbern auf Milchviehbetrieben formuliert. Die Mindeststandards dienen als Orientierungshilfe für Betriebe, die Kälber als „Bruderkälber“, „Kälber aus kuhgebundener Aufzucht“ oder ähnlich vermarkten. Zu den Standards gehören etwa die Bio-Zertifizierung des Betriebs, die Versorgung aller Kälber auf einem Betrieb mit der Milch dort gehaltener Kühe, gemeinsame Zeit von Kühen und Kälbern, Saug-Möglichkeiten für Kälber an Kuheutern, ein Mindestverbleib der Kälber auf dem Hof von drei Monaten sowie Umstellungsmöglichkeiten für die Betriebe.

Männliche Kälber mit aufziehen

Damit eine Milchkuh auch Milch gibt, muss sie jedes Jahr ein Kalb gebären. Das führt dazu, dass in Deutschland jährlich fast vier Millionen Kälber geboren werden. Weil das System der Milch- und Fleischvermarktung Landwirt*innen zu möglichst niedrigen Kosten zwingt, stehen Milchbetriebe vor zwei Problemen: Um keine Milch für den Verkauf zu verlieren, trennen Landwirt*innen Kälber früh von der Kuh und ernähren sie über Saugeimer mit Ersatzmilch. Jedes zweite Kalb ist männlich und gibt naturgemäß keine Milch. Viele davon werden oft nach wenigen Wochen verkauft, mangels Alternativen teils an konventionelle Mastbetriebe mit zuweilen langen Transportwegen. „Das ist nicht nur im Hinblick auf das Tierwohl ein Problem, sondern auch insgesamt zu kurz gedacht“, ist Demeter-Landesvorständin und Initiatorin der Bruderkalbinitiative Anja Frey überzeugt, die auf dem Völkleswaldhof seit Jahren die kuhgebundene Kälberhaltung praktiziert und sich für die Bullenkälberaufzucht engagiert.

Kuhgebundene Kälberhaltung nimmt Preisdruck aus dem Milchmarkt

Auch wenn Demeter-Milch sehr gut nachfragt ist, gibt es insgesamt auf dem Milchmarkt eine Übersättigung und einen daraus resultierenden Preisdruck. Wenn Kälber gemeinsam mit Müttern oder Ammen gehalten werden, kann das nicht nur einen moralischen Konflikt lösen, sondern auch ein Problem des Milchmarktes: „Wenn Kälber bei der Kuh saugen dürfen, reduziert das die vermarktbare Milchmenge und entlastet so den übersättigten Milchmarkt“, erklärt Demeter-Landwirt Rolf Holzapfel, Mitbegründer der Erzeugergemeinschaft Demeter Heumilch-Bauern. „Die kuhgebundene Kälberhaltung ermöglicht zudem, dass die Bruderkälber auf den Höfen bleiben und als hochwertiges Bruderkalbfleisch vermarktet werden können“, beschreibt er weitere Chancen für diesen Ansatz, bei dem Milch, Kuh und (Bruder-)Kalb gemeinsam gedacht werden.

Doch eine solch ganzheitliche Milchwirtschaft erfordert wertschätzende Preise. „Wir erfüllen durch die kuhgebundene Kälberaufzucht die Erwartungen vieler Konsument*innen an die wesensgemäße Tierhaltung. Wenn künftig mehr Landwirt*innen dabei mitmachen sollen, müssen die Produkte aus dieser Art der Haltung auch nachgefragt werden – und zwar zu einem Preis, in dem sich der höhere Aufwand widerspiegelt“, fordert Landwirtin Anja Frey. Vermarktungsstrukturen sind bereits im Aufbau; sowohl Verarbeiter wie die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall als auch Großhändler wie Bodan oder Naturkostkontor Willmann sowie regionale Metzgereien und Hofläden bieten bereits Fleisch von Bruderkälbern an. „Das bisherige Feedback der Kunden ist phänomenal“, berichtet Rolf Holzapfel. „Deswegen müssen wir mit sinnvollen Standards weiter voranschreiten und zeigen, dass Bio-Landwirtschaft Lösungen für Probleme anbietet, vor denen die gesamte Landwirtschaft steht.“

Die Vorleistung der Milchpionier*innen muss honoriert werden – auch von der Politik!

Die Standards zur kuhgebundene Kälberaufzucht sind ein weiterer Schritt auf neuen Wegen in der Erzeugung und Vermarktung, die eine hohe Eigeninitiative der Landwirt*innen erfordern. Dabei wird aber explizit kein Anspruch erhoben, dass die muttergebundene Kälberaufzucht als Richtlinie für alle Demeter-Betriebe gelten soll. „Nachhaltige Entwicklung funktioniert nicht durch einen erhobenen Zeigefinger. Sie braucht Zeit, Investitionen und vor allem auch einen Absatzmarkt. Die Standards zur kuhgebundenen Kälberaufzucht sind ein wichtiger Baustein, damit hochwertige Qualität im Handel sichtbar und somit Entwicklung auch für viele weitere Betriebe möglich wird“, unterstreicht der geschäftsführende Demeter-Landesvorstand Tim Kiesler. Gleichzeitig appellierte er an die Politik: „Nachhaltiges Handeln darf nicht nachteiliges Wirtschaften bedeuten. So lange es das Niedrigpreis-orientierte Milchsystem erfordert und das Gesetz es erlaubt, Kälber durch ganz Europa zu transportieren, so lange haben Betriebe, die sich um eine regionale und wesensgemäße Aufzucht kümmern, einen Wettbewerbsnachteil. Das muss sich ändern.“

 

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